Interessenkollision



Bei der Frage nach dem Vorliegen einer Interessenkollision hilft das "Bauchgefühl" nicht weiter.

Achtung:
Wer sich in einer Interessenkollision befindet, verliert nicht nur alle betroffenen Mandate, sondern setzt sich auch der Gefahr spürbarer Sanktionen durch die Straf- und/oder Anwaltsgerichte aus.

Andererseits:
Nicht alles, was wie eine Interessenkollision aussieht, ist auch eine.


Bevor vielleicht grundlos lukrative Mandate abgelehnt und Mandanten verprellt werden, sollte man genau prüfen. Dies gilt insbesondere für Großkanzleien mit komplexer Mandantenstruktur, hochspezialisierte Anwälte, die in einem eng umgrenzten Marktsegment tätig sind, und Kanzleien in Regionen mit überschaubarer Anwaltsdichte.

Das Gutachten eines Experten schafft Klarheit. Und im Ernstfall, also wenn es doch zu einem Aufsichts- oder Strafverfahren kommen sollte, kann ein Expertengutachten zur Begründung eines unvermeidbaren (und somit entschuldigenden) Verbotsirrtums dienen (so LK-Gillmeister, § 356 StGB Rdn. 99).



Offermann-Burckart,
Die Gefahr latenter Interessenkonflikte im Mehrpersonenmandat
Analyse, Lösungsvorschläge und zwei Mustertexte für die Praxis

AnwBl. 2020, 602

Zwei BGH-Entscheidungen zum Thema „Vertretung widerstreitender Interessen“ haben aufhorchen lassen: Zum einen handelt es sich um den Beschluss des 4. Strafsenats vom 21. November 2018 (4 StR 15/18, AnwBl. Online 2019, 96) und zum anderen um das Urteil des IX. Zivilsenats vom 10. Januar 2019 (IX ZR 89/18, AnwBl. Online 2019, 252). In beiden Fällen stand für die Betroffenen viel auf dem Spiel: In der ersten Sache wäre auf unabsehbare Zeit die Anwaltszulassung verloren gewesen, wenn nicht der BGH - anders als die Vorinstanz - zumindest einen schweren Fall des Parteiverrats verneint hätte. Und in der zweiten Sache gingen die Erben des im Laufe des Verfahrens verstorbenen Rechtsanwalts eines Vergütungsanspruchs von immerhin 1,6 Millionen Euro verlustig. Die gravierenden Rechtsfolgen, die jeweils im Raum standen, zeigen deutlich, dass Fragen der Interessenkollision alles andere als “theoretische Gedankenspielereien“ sind. Die Autorin gibt ganz konkrete Tipps (bis hin zu Mustertexten), um latente Interessenkonflikte in Mehrpersonenmandaten zu managen.


Offermann-Burckart,
Und auf einmal ist es Parteiverrat
Risiken kennen und vermeiden - Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 21.11.2018 - 4 StR 15/18

AnwBl. Online 2019, 193

Die Vermeidung widerstreitender Interessen gehört zu den Kernpflichten von Anwältinnen und Anwälten. Wer dagegen in eigener Person verstößt, macht sich des Parteiverrats schuldig, wer mit der Gegenseite sogar zusammenwirkt, kann wegen schweren Parteiverrats strafbar sein. Ein aktueller Fall des BGH zeigt, wo bei der Vertretung mehrerer Mandanten die Risiken liegen (wenn aus gleichgerichteten divergierende Interessen werden) und warum Vergleiche gefährlich sein können.

Die Redaktion des Anwaltsblatts:
"Der Beitrag ist Pflichtlektüre, denn wenn eine Verurteilung wegen eines Verbrechens erfolgt, ist die Zulassung weg."


Offermann-Burckart,
Interessenkollision - russisches Roulette oder beherrschbares Risiko?
Beim Umgang mit den Kollisionsnormen ist Fingerspitzengefühl gefragt - 10 Fälle

AnwBl. Online 2018, 200

Nach kurzer Einführung in den theoretischen Unterbau zeigt der Beitrag einmal mehr anhand "echter" Lebenssachverhalte auf, wie uneinheitlich, ja beinahe zufällig die Praxis (also Rechtsanwaltskammern, Staatsanwaltschaften, Gerichte etc.) mit dem Thema Interessenkollision umgeht und was Betroffene tun können, um dennoch zu den "richtigen" Ergebnissen zu gelangen.


Offermann-Burckart,
Das besondere Problem der Interessenkollision bei Syndikusrechtsanwälten

BUJ, Die Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, 2017, 304 - 327

Das Thema "Interessenkollision und ihre Vermeidung“ ist "vermintes Terrain“ und darf auch vom Syndikusrechtsanwalt nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Arbeitgeberwechsel, die gleichzeitige Ausübung verschiedener Tätigkeiten, das Agieren in Konzernstrukturen und die Vertretung von Verbandsmitgliedern können dadurch erschwert werden. Die meisten Probleme wären bei einer grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Einverständnisses der (verständigen) "Mandanten“ und bei einer insgesamt verfassungskonformen Auslegung der Kollisionsnormen befriedigend zu lösen. Dem Verteidiger eines in Bedrängnis geratenen (Syndikus-)‌Rechtsanwalts und jedem, der nach kreativen (natürlich rechtskonformen) Lösungen sucht, tut sich hier ein weiter Argumentationsspielraum auf. Dass die Nutzung dieses Spielraums immer wieder von Erfolg gekrönt ist, zeigt ganz aktuell ein innovatives ... Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 06.10.2016, in dem es in einer Kanzleiwechsler-Situation um die Frage der Berechtigung einer Gebührenforderung und damit zusammenhängend der möglichen Nichtigkeit des zugrunde liegenden Mandatsvertrags geht, und in dem das LG sich für eine verfassungskonforme und damit restriktive Auslegung von § 3 Abs. 2 und 3 BORA ausspricht.

In Konzernstrukturen können überdies die Vorkehrungen entscheidend sein, die das beherrschende Unternehmen trifft, um Kollisionen auszuschließen. Insgesamt bleibt im Bereich der Syndikusrechtsanwälte abzuwarten, welche konkreten Probleme die Praxiserfahrungen der nächsten Zeit zu Tage fördern werden und ob diese die Satzungsversammlung (endlich) veranlassen können, eine - ohnehin notwendige - Revision des § 3 BORA vorzunehmen.


Offermann-Burckart,
Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders
50 Einzelfälle aus der Praxis zu einer Kernpflicht des Anwaltsberufs

AnwBl. 2011, 809 - 828

... das Thema Interessenkollision ist mit reiner Intuition kaum zu bewältigen. Beherrschen lässt sich dieses schwierige Thema nur, wenn man die gesetzlichen Vorgaben gründlich seziert, in ihre diversen Tatbestandsmerkmale zerlegt, den Sachverhalt sauber subsumiert und dabei in der richtigen Reihenfolge vorgeht.

Die Grundzüge der Interessenkollision hatte die Autorin im Juni-Heft 2008 des Anwaltsblatts (AnwBl. 2008, 446) vorgestellt. Die Leserresonanz war so groß, dass die Autorin im November-Heft 2009 des Anwaltsblatts (AnwBl. 2009, 729) anhand von 35 Fällen aus der Praxis die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Interessenkollision (und auch des damals neuen § 3 Abs. 2 S. 2 BORA) detailliert beleuchtete. Der Beitrag war aber nicht Endpunkt, sondern Auslöser für weitere zahlreiche Anfragen, ... . Nach zwei Jahren war es Zeit, die Auflistung zum Teil gängiger und ständig wiederkehrender, zum Teil aber auch exotischer Fallgestaltungen mit 50 neuen Fällen aus der Praxis fortzusetzen.




Offermann-Burckart,
Interessenkollision und Kanzleiwechsel

Auch Besprechung von AGH München (BayAGH II-16/11)

NJW 2012, 2553 - 2556

§ 3 Abs. 3 BRAO kommt kurz und unprätentiös daher und ist doch eine der am wenigsten greifbaren Bestimmungen des anwaltlichen Berufsrechts. Er soll regeln, was geschieht, wenn ein Rechtsanwalt von einer Kanzlei zu einer anderen wechselt und in diesen Kanzleien Mandanten mit widerstreitenden Interessen betreut wurden, aktuell betreut werden oder künftig betreut werden sollen.


Offermann-Burckart,
Braucht das volljährig gewordene Kind in Unterhaltssachen zwingend einen eigenen Anwalt?

FF 2012, 17 - 28

Jeder Rechtsanwalt ... kennt das: Über Jahre hinweg werden ein Elternteil und das Kind in Unterhaltssachen beraten und vertreten. Dann wird das "Kind" 18, und es stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit wie bisher fortgesetzt werden kann oder entweder das Elternteil oder das Kind einen eigenen Anwalt beauftragen muss.


Henssler/Deckenbrock,
Renaissance der objektiven Interessenbestimmung beim Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen?

NJW 2012, 3265 - 3270

Für die Anwaltschaft bieten die offenen Fragen rund um das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und die damit verbundene Rechtsunsicherheit ein hohes Gefahrenpotenzial. Der betroffene Anwalt befindet sich in den zahlreichen Grenzfällen, die es im Hinblick auf § 43a Abs. 4 BRAO gibt, in einer Zwickmühle. Hegt er selbst erhebliche Zweifel, ob das Berufsrecht eine Ablehnung oder gar Niederlegung des Mandats erfordert, oder wird er mit dem Vorwurf einer berufsrechtswidrigen Vertretung konfrontiert, wird es aus Gründen der Vorsicht oft angezeigt sein, auf das Mandat zu verzichten, um so jedenfalls kein weiteres berufsrechtliches Risiko einzugehen.


Vertretung mehrerer Gesamtschuldner

BGH, Urt. v. 10.01.2019 - IX ZR 89/18

Ein Rechtsanwalt verstößt mit der Vertretung mehrerer Gesamtschuldner gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, wenn das Mandat nicht auf die Abwehr des Anspruchs im gemeinsamen Interesse der Gesamtschuldner beschränkt ist und nach den konkreten Umständen des Falles ein Interessenkonflikt tatsächlich auftritt.

Ein Rechtsanwalt vertritt in der Regel widerstreitende Interessen, wenn er in dem zwischen dem Bauherrn und dem Bauunternehmer wegen eines Schadensfalls geführten selbstständigen Beweisverfahren das unbeschränkte Mandat zur Vertretung mehrerer als Streithelfer beigetretener Sonderfachleute übernimmt, die teils mit der Planung, teils mit der Bauüberwachung beauftragt wurden.

Ist ein Anwaltsvertrag nichtig, weil der Rechtsanwalt mit dem Abschluss des Vertrags gegen das Verbot verstößt, widerstreitende Interessen zu vertreten, ist ein Bereicherungsanspruch für Leistungen des Rechtsanwalts ausgeschlossen, wenn der Anwalt vorsätzlich gegen das Verbot verstoßen oder sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen hat (Anschluss an BGH, NJW 2011, 373).


Interessenkollision als Gebührenfalle?
Zur verfassungskonformen Auslegung von § 3 BORA

LG Karlsruhe, Urt. v. 06.10.2016 - 10 O 219/16

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist § 3 BORA verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass kein Verstoß gegen diese Vorschrift und damit auch kein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO vorliegt, wenn erstens den Rechtsanwalt kein Verschulden trifft, d.h. keine Kenntnis und kein Kennenmüssen vorliegt, und zweitens keine Interessenkollision und kein Nachteil für den Mandanten im konkreten Einzelfall aufgetreten ist. Für eine verfassungskonforme Auslegung ist also zusätzlich zum objektiven Wortlaut auch eine subjektive Komponente in die Vorschrift hineinzulesen.

Denn in einem Fall, in welchem dem Rechtsanwalt subjektiv nichts vorzuwerfen ist und gleichzeitig objektiv keine Interessenkollision und kein Nachteil für den Mandanten entstanden ist, kann nicht davon gesprochen werden, dass der Rechtsanwalt eine andere Partei im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten habe und sich damit eines Verstoßes gegen § 43a Abs. 4 BRAO schuldig gemacht habe mit der Folge einer Nichtigkeit des Anwaltsvertrags und einem Verlust sämtlicher Honoraransprüche. 


Vertretung mehrerer Beteiligter eines Verkehrsunfalls

LG Saarbrücken, Urt. v. 16.01.2015 - 13 S 124/14

Ein Rechtsanwalt vertritt widerstreitende Interessen und verstößt so gegen § 43a Abs. 4 BRAO, wenn er mehrere Geschädigte eines Verkehrsunfalls vertritt, von denen einer zugleich als (weiterer) Schädiger in Betracht kommt und also gesamtschuldnerisch haften kann.

Das Vorliegen einer Interessenkollision wirkt sich nicht auf die Wirksamkeit der Prozessvollmacht, wohl aber auf den Gebührenanspruch der prozessbevollmächtigten Rechtsanwältin aus.  


Hinweispflichten des Rechtsanwalts über gebühren- und vertretungsrechtliche Folgen in Scheidungsangelegenheiten bei (drohender) Interessenkollision

BGH, Urt. v. 19.09.2013 - IX ZR 322/12

Suchen Eheleute gemeinsam einen Rechtsanwalt auf, um sich in ihrer Scheidungsangelegenheit beraten zu lassen, hat der Anwalt vor Beginn der Beratung auf die gebühren- und vertretungsrechtlichen Folgen einer solchen Beratung hinzuweisen.

In Scheidungsverfahren soll es häufig vorkommen, dass sich die scheidungswilligen Eheleute in der Annahme völligen Interessengleichklangs und der Absicht, die Kosten für einen zweiten Anwalt zu sparen, gemeinsam durch einen Anwalt beraten lassen wollen (...). Auch wenn das durch die Ehe begründete einheitliche Lebensverhältnis eine identische Rechtssache darstellt (...) und die Eheleute im Falle der Trennung und Scheidung über das möglicherweise gleichlaufende Interesse hinaus, möglichst schnell und kostengünstig geschieden zu werden, typischerweise gegenläufige Interessen in Bezug auf die Scheidungsfolgen haben, wird in Rechtsprechung und Literatur die Meinung vertreten, dass eine gemeinsame Beratung mit dem Ziel einer einvernehmlichen Scheidung im Grundsatz möglich ist, ... . Jedenfalls dann, wenn die gemeinsame Beratung der Eheleute nicht zu der beabsichtigten Scheidungsfolgenvereinbarung führt und es trotz anfänglicher Übereinstimmungen während der anwaltlichen Beratung zu einem Interessenwiderstreit kommt, darf der Rechtsanwalt für keinen der beiden Ehepartner mehr tätig werden; in diesem Punkt besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit.

Zu Gunsten der Klägerin unterstellt der Senat, dass eine so beschriebene gemeinsame Beratung scheidungswilliger Eheleute zulässig ist, sie den Beklagten und seine Ehefrau in diesem Sinne gemeinsam beraten hat und der unauflösliche Interessenwiderstreit zwischen den Eheleuten erst aufgetreten ist, nachdem alle von ihr abgerechneten Gebührentatbestände erfüllt waren, der Anwaltsvertrag mithin bis zum Erkennbarwerden des Interessenwiderstreits wirksam und die geltend gemachte Vergütung im Grundsatz verdient war (...). Trotzdem kann sie die geltend gemachten Gebühren nach § 242 BGB nicht verlangen, weil dem Beklagten in diesem Fall in Höhe der Gebührenforderung aus dem Anwaltsvertrag in Verbindung mit § 311 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB ein Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin zusteht.


Interessenkollision durch Vertretung Pflichtteilsberechtigter bei der Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen und deren Mutter bei der Abwehr von Nachlassforderungen

BGH, Beschl. v. 16.01.2013 - IV ZB 32/12

Ein Rechtsanwalt, der anlässlich desselben Erbfalles Pflichtteilsberechtigte bei der Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen und deren Mutter bei der Abwehr von Nachlassforderungen vertritt, verstößt ohne die Interessenkollision auflösende Mandatsbeschränkungen gegen das Vertretungsverbot gemäß § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA.

Ein solcher Verstoß kann die rückwirkende Aufhebung seiner Beiordnung gemäß § 121 ZPO rechtfertigen.


Interessenkonflikt bei anwaltlicher Vertretung eines Elternteils und des volljährigen Kindes

BGH, Urt. v. 23.04.2012 - AnwZ (Brfg) 35/11

Zugewinnausgleich und der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes gegen seine Eltern betreffen dieselbe Rechtssache.

Ob widerstreitende Interessen vertreten werden, kann nicht ohne Blick auf die konkreten Umstände des Falles beurteilt werden. Maßgeblich ist, ob der in den anzuwendenden Rechtsvorschriften typisierte Interessenkonflikt im konkreten Fall tatsächlich auftritt. Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt verstößt gegen das Übermaßverbot und ist verfassungsrechtlich unzulässig.

Anmerkung, FF 2012, 356 - 359

Endlich hatte der Bundesgerichtshof ... einmal Gelegenheit, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob derselbe Rechtsanwalt (...) in derselben familienrechtlichen Angelegenheit das volljährige Kind und einen Elternteil gegen den anderen Elternteil vertreten darf.