§ 12 BORA:
"(1) Der Rechtsanwalt darf nicht ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln.
(2) Dieses Verbot gilt nicht bei Gefahr im Verzuge. Der Rechtsanwalt des anderen Beteiligten ist unverzüglich zu unterrichten; von schriftlichen Mitteilungen ist ihm eine Abschrift unverzüglich zu übersenden."
Das Verbot, den Gegenanwalt zu umgehen, hat eine doppelte Stoßrichtung:
Es soll den Kollegen auf der Gegenseite vor Desavouierung schützen und zugleich die anwaltlich vertretene Gegenpartei vor unüberlegten Reaktionen bewahren.
Verstoß auch bei Anwaltsunterschrift per Faksimile-Stempel
BGH, Urt. v. 26.10.2015 - AnwZ (Brfg) 25/15
Das Umgehungsverbot dient vorrangig dem Schutz des gegnerischen Mandanten. Hat dieser zur Wahrung seiner Rechte die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erachtet, so soll er davor geschützt sein, bei direkter Kontaktaufnahme durch den Rechtsanwalt der Gegenseite wegen fehlender eigener Rechtskenntnisse und mangels rechtlicher Beratung übervorteilt zu werden. Mit diesem Schutz vor Überrumpelung dient die Regelung einem fairen Verfahren und damit dem Gemeinwohlinteresse an einer geordneten Rechtspflege.
Bei der Zurechnung eines gegen § 12 BORA verstoßenden Anwaltsschreibens ist maßgeblich auf den Empfängerhorizont der - im Augenblick der Kenntnisnahme nicht anwaltlich beratenen - Gegenpartei abzustellen. Nicht maßgebend ist dagegen, ob das Anwaltsschreiben den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO oder den Voraussetzungen einer persönlichen Unterzeichnung genügt. Entscheidend ist vielmehr, ob aus Sicht der Gegenpartei das unter Verstoß gegen § 12 BORA an sie gerichtete Anwaltsschreiben einem bestimmten Rechtsanwalt zugerechnet werden kann. Hierzu genügt die Anbringung eines Faksimile-Stempels, der die Unterschrift des Anwalts nachbildet.
Der Anwalt übernimmt auch die (Mit-)Verantwortung für derart gestempelte Schreiben und für die Einhaltung der mit ihnen einher gehenden berufsrechtlichen Pflichten.
Zur Verfassungsmäßigkeit und konkreten Anwendung von § 12 BORA
BVerfG, Beschl. v. 25.11.2008 - 1 BvR 848/07
Die strikte Einhaltung des Umgehungsverbots würde von einem Rechtsanwalt verlangen, in einer mündlichen Verhandlung vor Gericht keine Vergleichsverhandlungen mit einem Gegner, dessen Anwalt nicht anwesend ist, zu führen und insbesondere keinen Prozessvergleich abzuschließen. Dies widerspricht jedoch offensichtlich dem Interesse des eigenen Mandanten an einer zügigen und sachgerechten Beendigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Prozessvergleichs.